Sonntag
Es ist warm draußen, als ob Sommer wäre und die Sonne scheint vom blauen 
Himmel. Naja, es ist ja auch Sommer. Spätsommer. Die Blätter einiger Bäume, 
vornehmlich der Linden  haben sich 
bereits gelb gefärbt. Es liegt auch schon Laub auf den Straßen. Es raschelt, 
wenn der Wind drüberfährt und knistert unter den Sohlen, wenn man hindurch geht. 
Die meisten Leute sind auch dementsprechend angezogen und haben die Mäntel 
Regenjacken der letzten Woche daheim an der Garderobe gelassen. 
Ein Tag, um sonnenbebrillt im Straßencafe zu sitzen und Leute zu gucken. 
Irgendwer ist immer unterwegs. Touristen, Zugereiste, Leute, die bummeln gehen, 
Familien auf Sonntagsausflug, Eisessen mit Oma, die Freundin vorführen. 
Türkische Mädchen im Ghetto-Schlampen Outfit oder in H&M-Klamotten, 
dazu  auffällige Kopftücher mit 
Schmuckkettchen verziert. Türkische Jungs in Picaldi-Chic; weite Jeans am Bund 
und an den Knöcheln eng, teure Laufschuhe an den Füßen und schräg aufgesetzte 
Baseballcaps auf dem Kopf. Es gibt deutsch Jungs die versuchen die türkischen 
und arabischen Trendsetter aus dem Wedding oder aus Kreuzberg 36 nachzumachen. 
Es gibt aber auch andere, die anders nicht besser aussehen. Ihre Hosen hängen 
auf halbmast; um nicht zu sagen unter dem Arsch. Angesichts dessen überkommt 
mich nicht selten das Bedürfnis, sie an Bund und Gürtel zu packen und ordentlich 
hochzuziehen. 
Leider ziehen sich deutsche Männer oft nicht wirklich besser an. Einige 
sehen aus, wie kleine Jungs, die noch von Mutti angezogen werden. Da sitzt alles 
schief und krumm, die Hose höher gezogen als es gesund sein kann, und man sieht 
den Sachen an, daß sie im Sonderangebot waren. Und zwar bei den einschlägig 
bekannten deutschen Kaufhäusern oder im Versandhandel oder beim Supermarkt 
draußen auf der grünen Wiese. Ihre (deutschen) Frauen stehen ihnen da kaum nach. 
Hauptsache unauffällig, blasse Farben, hauptsache praktisch. Als Mutter, als 
Ehefrau, als Sachbearbeiterin im öffentlichen Dienst oder Angestellte im Büro 
ihres Mannes. Moderne gebildete türkische Mütter aus der zweiten bis dritten 
Generation der hier Eingewanderten sind da anders. Nicht so langweilig und 
fade.
Und ganz und gar nicht so langweilig und Fade sind die Damen aus dem 
Osten. Nein, nicht die aus dem deutschen Osten. Die aus dem wirklich nahen 
Osten. Russische Frauen. Aus welchen Ländern der ehemaligen Sowjetunion auch 
immer sie kommen mögen. Die machen keine halben Sachen und sie sind gut darin. 
Die sind oft sehr gut angezogen. Und teuer. Aber sie können es tragen und 
nicht nur anziehen, und genau da sieht man den Unterschied zwischen 
anziehen und tragen. Die trauen sich das. Klar haben die auch 
Kinder, viel früher als die deutschen Frauen in der Regel übrigens, und sicher 
arbeitet die ein oder andere auch als Angestellte irgendwo, aber das ist für sie 
kein Grund, sich in graue Mäuschen aus dem ewigen Hafen der Ehe zu verwandeln, 
so nach dem Motto: endlich angekommen, einrichten, nichts verändern, hier 
bleiben, verharren und hier sterben. Für die Damen aus dem nahen Osten hat das 
Leben mit dem Verheiratet sein nicht aufgehört. Ehefrau und Frau und Mutter und 
Frau schließen einander keineswegs aus. Sie tragen trotzdem Röcke, die z.T. sehr 
kurz sind und Schmuck, der zeigt, was man hat und zwar ohne wie ein 
überladener Weihnachtsbaum daherzukommen. Und Sonnenbrillen und roten 
Lippenstift und manikürte Nägel. Ihre Männer -aus welchen Ländern der ehemaligen 
Sowjetunion auch immer sie kommen mögen- sehen allerdings auch nicht so aus, als 
wenn sie im Bioladen einkaufen würden und mit den Kindern zur 
Allergiesprechstunde zum Arzt gingen. Das sind Leute, die ihre Waschmaschine 
selten benutzen, weil sie eh alles zur Reinigung bringen. Reinigung. Nicht 
Waschsalon. Zum Verhältnis zwischen Männern und Frauen aus diesen Sphären habe 
ich mal folgenden Satz gehört: Russische Männer glauben, das Essen käme aus dem 
Kühlschrank und russische Frauen glauben, das Geld käme vom Nachttisch. 
Nastrovje. Dementsprechend gibt sie es aus, auch wenn sie selbst nicht schlecht 
verdient, und er fände es als Mann erniedrigend, wenn sie es nicht täte; 
abgesehen davon schätzt er es, wenn sie toll aussieht; was nicht heißt, daß er 
keine Augen für andere hätte...  Das 
ganze nennt man eine win-win-Situation. Buisiness eben, wie so vieles im nahen 
Osten. 
Im Bus und in der S-Bahn sieht man dann Leute, die aus ihrem Garten in 
Kladow oder Buckow zurück in ihre Wohnung nach Tempelhof oder Mariendorf fahren. 
Leute zwischen ende vierzig und mitte sechzig. Sie haben Äpfel, Birnen oder 
Pflaumen in Körben und Tüten dabei, haben leicht glasige Augen vom Umtrunk mit 
der Nachbarschaft. Es ist Sonntag Abend und sie haben wie in den letzten 
fünfundzwanzig Jahren das Wochenende in Garten und Laube verbracht. Das alte 
Westberlin wie es leibt und lebt; als wäre nichts geschehen, keine Wende, keine 
New Economy, kein nichts. Frauen mit Pudelfrisur und Männer, die auch dick genug 
für die Frührente sind. Geranien in Ordnung halten, Biertrinken am Wannsee. Als 
würden Harald Juhnke und Günther Pfitzmann sie noch immer frisch unterhalten. 
Praxis Bülowbogen forever. 
Diese Leute, haben gelebt, um zu arbeiten, doch dann hat ihnen ihr 
Arbeitgeber, zumeist der öffentliche Dienst im Laufe der Jahre mehr und mehr 
bezahlte Freizeit gegeben, und sie haben immer noch so weiter gegessen und 
getrunken, als müssten sie jeden Tag zwölf Stunden ins Bergwerk. 
Diese Neuen deutschen Familien, die ihre Kinder Jonathan und Leonie 
nennen und die sie immer mit „bitte“ auffordern würden, den Yorkshire nicht mehr 
zu würgen, Familien, in denen die Mütter nie mehr Schuhe mit richtigen Absätzen 
(alles unter drei Zentimeter zählt nicht) tragen, und in denen die Hemden der 
Väter fast immer zerknittert sind: die arbeiten um zu sparen, damit sie sich 
irgendwann ein „Häuschen im Grünen“ kaufen können. Und einen neuen Kombi, oder 
besser: Family-Van und Nachhilfestunden für den verweichlichten Nachwuchs, wenn 
die aus der Waldorfschule in eine „richtige“ Schule gehen.
Die Türken wurschteln sich so durch – die meisten zumindest. Die, die 
gute Jobs haben, die Anwältinnen und Immobilenmakler geworden sind unterstützen 
ihre Eltern und Geschwister und arbeiten für eine sichere Rente und eine 
schöne Eigentumsaltbauwohnung in Charlottenburg.
die Russen? Die Arbeiten, um Karriere zu machen, für Geld zum ausgeben, anlegen
und leben, um das Leben verdammt noch mal zu
genießen!
 
      

 
  
